Dr. Ulrich Baltzer
Senior IT-Consultant

Verlaufen?

Wir müssen uns immer schneller in immer komplexeren Sachlagen zurechtfinden; kaum kennen wir uns ein wenig aus, schon haben wir uns einem anderen Aufgabengebiet zu widmen. Das Internet und die Suchmaschinen liefern uns sofort eine unüberschaubare Menge an Informationen; E-Mails, Nachrichten-Feeds, soziale Netze, Chats und nicht zuletzt auch das Telefon liefern fortwährend Neues, Dringendes, Zerstreuendes. Dabei kommt es uns vor, als hätten wir uns verlaufen.

Wir kennen uns nicht mehr aus: auf dem Weg durch die fremde Stadt drehen wir uns, von den Vorüberhastenden gestoßen, orientierungslos im Kreise. Die Orientierung wieder zu finden heißt, Strukturen in der herandrängenden Vielfalt zu erkennen, das aktuell Relevante vom Unwichtigen zu scheiden und mit dem zu verknüpfen, wo man sich auskennt.

Betrachte ich mir meinen Lebensweg, so fand ich mich oft in fremden Gassen wieder von Städten, die auf ganz unterschiedlichen Kontinenten zu liegen schienen. Habe mich zurechtfinden gelernt in der Technik, der Ökonomie, den Geisteswissenschaften. In der Philosophie hatte ich ausgiebig Gelegenheit, den um ein Winziges verschobenen Blick zu üben, der die Sachverhalte und Probleme in eine neue Perspektive rückt, ihnen mit der Neuanordnung anderes Gewicht und mit modifizierter Verknüpfung gewandelte Bedeutung verleiht. Manches Problem lässt sich erst lösen, wenn man es unter leicht versetztem Blickwinkel betrachtet, denn dann wird klar, dass die Frage falsch gestellt war oder die Quelle der Schwierigkeiten an der falschen Stelle vermutet wurde.

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Die Freude an Lösungen, die voraussetzungslos auf der grünen Wiese zu bauen beginnen ("greenfield"), ist mir bald vergangen, denn - um mit Ch. S. Peirce zu sprechen: Was ganz neu ist, muss ganz falsch sein. Sinn und Bedeutung hat etwas nur dann, wenn es mit bereits Bestehendem verknüpft, an Vorhandenens angebunden werden kann. Dem völlig Neuen fehlt aber gerade der Bezug zum Bestehenden. Gute Lösungen haben nicht das Pathos einer voraussetzungslos prinzipientreuen Theorie von Allem, sondern die bescheidene Kasuistik einer Verbesserung hie, einer neuen Verbindung da. Sie holen die Menschen dort ab, wo sie stehen, bieten eine Technik, die den Anwendern hilft, statt sie zu zwingen, sich an die Technik anzupassen. Maximalen Nutzen ziehen sie aus den gegebenen Ressourcen, und das heißt auch: die Maximallösung ist es nicht, sondern die unter den gegebenen Umstände optimale Lösung. Das Optimum im Rahmen des Möglichen zu erreichen erfordert, penibel zu analysieren, was wirklich benötigt wird, wo das Problem tatsächlich liegt, bevor über die Technik diskutiert wird, mit der die Lösung erreicht werden soll.

Orientierung im Wissen

Gegen das Verlaufen hilft Wissen. Deshalb interessieren mich gute Lösungen im soeben besprochenen Sinn ganz besonders hinsichtlich des Wissens: Wissen, das wir erwerben; Wissen, das wir anderen vermitteln; Wissen, das wir mit anderem Wissen verknüpfen; Wissen, das dargestellt, strukturiert, kondensiert, revidiert und archiviert werden muss.

Aber - so nötig wir es auch hätten, effizient mit Wissen umzugehen, bleibt es mühsam wie am ersten Tag. Gewiss gibt es mehr Medien, sie sind bunter, schneller, attraktiver geworden. Dennoch ist es fast ausschließlich dem persönlichen Geschick, der individuellen Übung und Neigung überlassen, ob es gelingt, das Relevante kenntnisgeleitet auszuwählen, Sachverhalte durch Verknüpfen mit anderen Wissensbestandteilen einzuordnen und bisher nicht gesehene Muster kreativ herauszulesen.

Durch IT-gestütztes Wissensmanagement erhoffe ich mir sichtbare Fortschritte für Wissensprozesse, ähnlich wie der Computer in den letzten Jahrzehnten die Büroprozesse erheblich verbessert hat. Die Büroautomatisierung ist nicht dadurch vorangekommen, dass Computer alles so viel schneller und besser könnten, vielmehr dadurch, dass Computer so unbeschreiblich beschränkt sind. Weil sie so wenig können, weil sie ohne Sinn und Verstand Befehle dem Wortlaut nach befolgen, musste man sich für Büroprozesse darüber klarwerden, welche Prozesse es gibt, welche Fallgruppen zu unterscheiden sind und nach welchen Kriterien in bestimmten Situationen Entscheidungen gefällt werden. Diese Klärung macht den Fortschritt aus: es ist nun offensichtlich, was zuvor unsichtbar handlungsleitend war. Dass uns im Wissensmanagement, erzwungen durch die Beschränktheiten der Technik, Implizites explizit werden kann, darauf ruht meine Hoffnung für unsere Orientierung im Wissen.